Die strafrechtliche Bewertung von Retterfällen

Eine leider in Klausuren häufig übersehene Sonderkonstellation der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung stellen die sogenannten Retterfälle dar. Für eine zufriedenstellende Lösung in einer Klausursituation ist es unentbehrlich diese Konstellation einordnen und richtig bewerten zu können. Wie du das am besten machst, erfährst du in diesem Artikel.

Ausgangsfall

Retterfälle werden unter anderem deshalb häufig übersehen, weil sie regelmäßig innerhalb eines Nebensachverhaltes auftauchen. Nehmen wir als Beispiel folgenden Fall:

A möchte den B töten. Deshalb wartet A ab, bis der B einschläft, und setzt sodann die Wohnung des B in Brand. Ein Passant erkennt den Brand und verständigt die Feuerwehr. Der Feuerwehrmann F, der davon ausgehen durfte, den B noch aus der brennenden Wohnung retten zu können, betritt die Wohnung. Jedoch stellte sich die Einschätzung als Trugschluss heraus und sowohl B, als auch F kommen in der brennenden Wohnung zu Tode.

In einer solchen Konstellation wird regelmäßig nach der Strafbarkeit des A gefragt werden. Die naheliegenden Delikte sind hierbei die §§ 212, 211 StGB zu Lasten des B und diverse Brandstiftungsdelikte. Nicht vergessen werden darf letztlich aber auch eine fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB zu Lasten des F.

Die Klausursituation

Erfahrungsgemäß stürzt man sich in der Klausur zunächst auf die bekannten §§ 212, 211 StGB und verbringt dabei viel zu viel Zeit mit der Frage der Arglosigkeit bei schlafenden Personen. Nachdem dann auch der übrige Tatbestand des § 212 StGB penibel geprüft wurde, widmet man sich noch den hierzu in Relation eher unbekannten Brandstiftungsdelikten und handelt im Nachgang, geschuldet der engen zeitlichen Bemessung, noch recht knapp die fahrlässige Tötung ab.

Alleine in meinem sehr knapp formulierten Sachverhalt handeln jedoch bereits mehr als die Hälfte der Sätze von dem Feuerwehrmann F und seiner Rettungsaktion. Folglich sollte auch die Klausurlösung sich detailliert mit diesen Geschehnissen befassen.

Das Problem

Prüft man also § 222 StGB zu Lasten des F, wird man als Anknüpfungspunkt zunächst das Inbrandsetzen der Wohnung des B heranziehen müssen. Ein Tötungserfolg ist eingetreten und eine Wohnung in Brand zu setzen ist sowohl erkennbar objektiv sorgfaltswidrig, als auch erkennbar gefährlich für Dritte, die erfahrungsgemäß Rettungsversuche starten werden.

Sodann stellt sich die Frage nach der objektiven Zurechnung. Grundsätzlich hat A durch seine Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, die sich im konkreten Todeserfolg niedergeschlagen hat und auch vom Schutzzweck der Norm erfasst ist. Jedoch könnte eine objektive Zurechnung vorliegend deshalb ausgeschlossen sein, weil der F sich womöglich eigenverantwortlich selbst gefährdet hat und der Tod des F damit nicht mehr als Werk des A klassifiziert werden könnte.

Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung

Die objektive Zurechnung soll grundsätzlich dann unterbrochen werden, wenn sich das spätere Opfer eigenverantwortlich selbst gefährdet. Das setzt grundlegend zunächst einmal voraus, dass das Opfer frei von Willensmängeln war und die Gefahr zumindest in seinen Grundzügen erkannt hat, sich aber dennoch für das riskante Verhalten entschied. Für diese Eigengefährdung soll der ursprüngliche Täter grundsätzlich nicht verantwortlich sein.

Anwendung auf den Fall

Dennoch gibt es gewissen Fallkonstellationen, bei denen man von diesem Grundsatz unter Umständen abweichen kann. Die Ausnahme um die es hier hauptsächlich gehen soll ist die sogenannte Retterkonstellation.

Im obigen Fall handelte der Feuerwehrmann F eigenverantwortlich. Jedoch hatte er aufgrund seines Berufs eine gewisse Handlungspflicht inne. Er ist dazu verpflichtet, sofern die Lage nicht aussichtslos ist, einen Rettungsversuch zu unternehmen. Eine gewisse Parallele lässt sich insofern zu den Herausforderungsfällen des Deliktsrechts im BGB spannen. Wenn sich der Retter herausgefordert fühlen durfte, einen nicht komplett aussichtslosen, bzw. unverhältnismäßigen Rettungsversuch zu unternehmen, ist der Schaden, hier der Tötungserfolg, dem Täter trotz eigenverantwortlichem Handeln zuzurechnen.

Das könnte man unter Umständen aber natürlich auch anders sehen. Ein Problem der ebengenannten Ansicht wird mit einer kleinen Abwandlung deutlich.

Nehmen wir an, dass der Rettungsversuch offensichtlich unmöglich war. Der Feuerwehrmann hat zwar grundsätzlich eine Rettungspflicht, nicht jedoch eine “Suizidpflicht” bei aussichtslosen Fällen. War die Rettung somit erkennbar unmöglich, und begab sich F dennoch in die brennende Wohnung, so wird man wohl eine Eigenverantwortlichkeit bejahen und damit die objektive Zurechnung ablehnen müssen.

Das würde aber bedeuten, dass der Täter, der einen größeren und damit gefährlicheren Brand legt, in den Retterfällen günstiger davonkommt, sofern dadurch die Rettung bei einer ex-ante-Betrachtung unmöglich wird. Gegen die obige Meinung könnte man also einwenden, dass der Täter mit höherer krimineller Energie günstiger gestellt wird, als derjenige, der lediglich einen Brand mit Rettungsmöglichkeit legt.

Bei der Beurteilung der Aussichtlosigkeit ist eine ex-ante-Betrachtung maßgeblich. Das führt dazu, dass die Grenze zwischen Bränden mit Rettungsmöglichkeiten und denjenigen ohne in der Praxis fließend verläuft. Wirklich praxis-relevant ist diese Gegenansicht deshalb wohl nicht.

Enge persönliche Bindung

Ein weiteres Sonderproblem kann sich bei engen persönlichen Beziehungen stellen. So wird der Grundsatz, dass eine offensichtlich aussichtslose Rettung zu einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung führt, teilweise(!) dann abgelehnt, wenn beispielsweise ein Elternteil versucht sein Kind aus einem brennenden Gebäude, oder – eine häufige Fallkonstellation – aus einem reißenden Fluss zu retten. Verwiesen wird dabei auf Konstellationen des § 35 StGB und die (emotionale) Zwangslage der Retter. Andere sehen das Heranziehen des § 35 StGB als unpassend an und bewerten die vorliegende Konstellation wie die übrigen Retterfälle.

Fazit

Bei Retterfällen wird zunächst zwischen verpflichteten (Berufs-)Rettern und sonstigen Rettern unterschieden. Bei einer Rettungspflicht wird die objektive Zurechnung nur dann unterbrochen, wenn der Rettungsversuch ex-ante offensichtlich aussichtslos war. Für sonstige Retter ist grundsätzlich auch die Aussichtslosigkeit für die Bestimmung der Zurechenbarkeit maßgeblich, gleichwohl wird hier die Schwelle deutlich niedriger anzusetzen sein. Eine Ausnahme kann in diesen Fällen nach einigen Ansichten gemacht werden, wenn der Retter eine enge persönliche Bindung zu dem Rettenden hatte.

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