Wut als niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 StGB

Auf dem ersten Blick erscheinen die Mordmerkmale der ersten Gruppe des § 211 II StGB abschließender Natur zu sein. Bei einem genaueren Hinsehen fallen einem dann jedoch diese sonstigen „niedrigen Beweggründe“ auf. Was es mit diesem schwammigen Ausdruck genau auf sich hat, ist sehr häufig Mittelpunkt spannender Urteilsentscheidungen. Und auch in dieser Urteilsbesprechung soll es um die sonstigen niedrigen Beweggründe gehen. Speziell darum, ob denn auch Wut als niedriger Beweggrund im Sinne des § 211 StGB angesehen werden kann.

Zunächst der – hier auf das Wesentliche reduzierte – Sachverhalt, wie er dem BGH zur Entscheidung vorlag (NStZ 2019, 724).

Der Sachverhalt

Der Angeklagte A war mit der späteren Zeugin Z liiert. Als diese nach kurzer Zeit zu ihm zog, ließ sie das spätere Opfer O in ihrer Wohnung leben. Zunächst verstand sich A sehr gut mit O, bis sich nach einer Weile eine nicht näher aufklärbare finanzielle Verflechtung zwischen beiden entwickelte. Hinzu kam außerdem, dass A ein Verhältnis der Z mit dem O vermutete und sich in diesem Verdacht bestätigt fühlte, als er ein benutztes Kondom in der Wohnung der Z entdeckte.
Als das spätere Opfer auf die Forderungen des Angeklagten, die vermeintlichen Schulden in Höhe von 200 bis 500 Euro zu bezahlen, nicht reagierte, entschloss sich A dazu, seine Interessen mit Nachdruck durchzusetzen.

Einige Zeit später sah A, unter Alkohol– und Betäubungsmittel- Einfluss stehend, den O vor einem Einkaufsmarkt. Er rief dem O zu, näherte sich und stach ihm mit einem Klappmesser unter bedingtem Tötungsvorsatz in den Rücken. O ergriff daraufhin die Flucht. A versuchte, schaffte es aber nicht, den O einzuholen und ließ daraufhin von ihm ab.
O konnte wohl nur aufgrund der später stattfindenden Notoperation gerettet werden.

BGH, Beschluss vom 12.09.2019, Az.: 5 StR 399/19

Ein spannender Fall, der so wohl auch als Inspiration manch einer Telenovela herhalten kann. Das Landgericht Neuruppin stellte vorliegend einen versuchten Mord nach den §§ 211, 22, 23 I StGB fest. Das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe sei hier erfüllt. Bestärkt würde das dadurch, dass die Tat in einem krassen Missverhältnis zum Motiv stünde. So wäre vorliegend allenfalls ein „Schlag auf die Nase“ nachvollziehbar gewesen.

Stellungnahme des BGH

Der BGH stellte zunächst einmal grundlegend fest, wie denn ein niedriger Beweggrund definiert werden kann. So sei ein Beweggrund dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Hierbei ist stets eine Gesamtbetrachtung aller Umstände notwendig. Bei Wut, so der BGH, sind demnach die Gründe, die den Täter in die Wut und anschließend in die Begehung der Tat getrieben haben, entscheidungserheblich.

Auch muss sich der Täter, aus subjektiver Sicht, der Umstände, die die „Niedrigkeit seiner Beweggründe“ ausmachen und ihrer Bedeutung für die Tatausführung, bewusst sein.
Der BGH führt aus, dass das Landgericht keine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorgenommen habe. So sei zu berücksichtigen, dass sich dem Täter – unter Umständen – aufgrund der nicht beglichenen Geldschulden und dem vermeintlichen Verhältnis zwischen O und Z, aus seiner Sicht nicht jeder vernünftige Grund für die Tat entbehre.

Im Ergebnis hob der BGH aufgrund obiger Ausführungen den Schuldspruch wegen versuchten Mordes auf. Für die erneuten Verhandlungen wies er außerdem auf die eben besprochenen notwendigen subjektiven Umstände hin.

Anmerkung

Problematisch an der grundlegenden Definition eines niedrigen Beweggrundes ist, dass sie absolut nicht greifbar ist. So mag auf sittlich tiefster Stufe stehen, was schlichtweg nicht nachvollziehbar erscheint. Doch auch hier ist eine derartige Pauschalisierung schwer durchsetzbar. Es scheitert an der subjektiven Natur der Betrachtungsperspektive; Denn nicht jedes sittlich höchst verwerfliche Verhalten ist der Nachvollziehbarkeit eines jeden Einzelnen entzogen. Das Lehrbuchbeispiel hierfür ist wohl der betrogene und verlassene Ehepartner, der seinen/ihren „Nachfolger“ tötet.
Selbstredend ist eine solche Tötung sittlich verwerflich. Aber ist sie auch so enorm verwerflich, dass sie absolut nicht nachvollziehbar ist?

Wie der BGH bereits festgestellt hat, sind bei niedrigen Beweggründen stets sämtliche Umstände zu berücksichtigen. Insbesondere gilt aber immer Folgendes zu erörtern: Ja, wohl jeder Totschlag ist sittlich verwerflich und sollte selbstredend auch nicht stattfinden. Ist die in Frage stehende Tötung jedoch sittlich so verwerflich, dass hier nicht wegen Totschlags, sondern sogar wegen Mordes bestraft werden soll?

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