Wie in dem Beitrag zu § 929 S. 1 BGB bereits angedeutet, wird in sachenrechtlichen Klausuren häufig eine Übereignung durch einen Nichtberechtigten vollzogen. Die in § 929 S. 1 BGB vorausgesetzte Berechtigung kann dann durch einen gutgläubigen Erwerb nach § 932 I BGB überwunden werden. Und um genau diese Norm dreht sich dieser Artikel.
Schema, § 932 I BGB
Zunächst ist es unerlässlich, dass man sich das Prüfungsschema vor Augen führt.
I. Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts
II. Rechtsscheinstatbestand
III. Gutgläubigkeit
IV. Kein Ausschluss
Im Detail
Allgemeines
Bei § 932 I BGB und den verwandten Erwerbstatbeständen vom Nichtberechtigten geht es immer um dasselbe Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite steht der grundsätzlich schützenswerte Eigentümer, dessen Rechtsposition sogar im Grundgesetz nach Art. 14 I GG geschützt wird, auf der anderen Seite der gleichsam wichtige Rechtsverkehr.
Um dieses Spannungsverhältnis zufriedenstellend zu lösen, gibt es einige Grundsätze und Ausnahmen, die sich so, zumindest ihrem Rechtsgedanken nach, durch das gesamte Sachenrecht ziehen. Für unsere konkrete Situation bedeutet das zunächst, dass eigentlich nur der Berechtigte nach § 929 S. 1 BGB übereignen kann. Ausnahmsweise, unter den strengen Voraussetzungen des § 932 I BGB, kann aber auch ein Nichtberechtigter übereignen, sofern eben der Rechtsverkehr hier schützenswerter ist als der Eigentümer. In den Fällen, in denen jedoch das Schutzinteresse des Eigentümers überwiegt, greift erneut eine Ausnahme des § 932 I BGB, die dann wiederum keine Übereignung zulässt.
Es lohnt sich ein genauerer Blick.
I. Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts
Studierende stellen in Klausuren häufig mit einem Satz fest, dass ein Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts vorliegt. In nahezu allen Klausurkonstellationen ist das auch korrekt. Gleichwohl kann es nicht schaden, wenn man sich kurz vergegenwärtigt, was damit letztlich genau gemeint ist.
Die Voraussetzung des Rechtsgeschäfts soll in erster Linie sicherstellen, dass das Eigentum nicht durch das Gesetz, insbesondere nicht durch die Universalsukzession nach § 1922 I BGB, überging, sondern durch eine willentliche Vornahme von geschäftlichen Handlungen, ein Rechtsgeschäft eben.
Das Verkehrsgeschäft konkretisiert das dann noch insoweit, als dass zwei verschiedene (natürliche oder juristische) Personen an der Übereignung beteiligt sind, also der Verkehr relevant wird.
Wie also bereits festgestellt: In nahezu allen Klausurkonstellationen wird dieser Prüfungspunkt erfüllt sein. Sollte er nicht erfüllt sein, ist fraglich, ob man überhaupt bei § 929 S. 1 BGB bis zum Tatbestandsmerkmal der Berechtigung kommen konnte.
II. Rechtsscheinstatbestand
Entscheidend für alle Gutglaubenstatbestände ist ein Rechtsscheinstatbestand. Dieser ist der Ansatzpunkt, auf den sich letztlich der gute Glaube beziehen soll. Im Immobiliarsachenrecht bezieht sich der gute Glaube des Rechtsverkehrs regelmäßig auf die Grundbucheintragung. Für Mobilien besteht grundsätzlich keine Absicherung durch das Grundbuch, weshalb in § 932 I BGB auf den unmittelbaren Besitz abgestellt wird. Denn aus § 1006 I BGB ergibt sich, dass der unmittelbare Besitzer einer Sache als Eigentümer vermutet wird.
III. Gutgläubigkeit
Keine Gutgläubigkeit ist wie die andere. Prüfst du eine, solltest du dir vorher immer kurz überlegen, woran sie anknüpft, in welchem Umfang sie bestehen, und zu welchem Zeitpunkt sie vorliegen muss.
Bei § 932 I BGB knüpft die Gutgläubigkeit an dem Rechtsscheinstatbestand der Eigentümerstellung an. Der Erwerber muss also glauben, dass der Veräußerer Eigentümer der Sache ist. Es geht also nicht um den guten Glauben an die Befugnis zur Veräußerung, oder bei Minderjährigen an den guten Glauben der Volljährigkeit, sondern ausschließlich um die Eigentümerstellung. Folglich kann § 932 I BGB auch nur über eine fehlende Eigentümerstellung hinweghelfen.
Anders verhält sich das im Handelsrecht gem. § 366 I HGB. Dieser schreibt ausdrücklich vor, dass sich der gute Glaube auch auf eine vermeintliche Befugnis, beispielsweise nach § 185 I BGB, beziehen kann.
Ihr Umfang bzw. ihr Maßstab ist in § 932 II BGB geregelt und bezieht sich auf die Anforderungen an die Gutgläubigkeit im engeren Sinne. Gutgläubig ist hiernach, wer weder weiß, noch grob fahrlässig nicht weiß, dass der Veräußerer nicht der Eigentümer der Sache ist. Ein anderer Maßstab ist zum Beispiel in § 990 I 2 BGB angeführt, bei dem nach Erwerb der Sache nur noch positive Kenntnis schadet.
Als maßgeblicher Zeitpunkt verlangt § 932 I BGB, dass der gute Glaube im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs vorliegt. Eine nachträgliche Kenntniserlangung ist unschädlich.
IV. Kein Ausschluss
Der gutgläubige Erwerb dürfte zum Schluss dann auch nicht ausgeschlossen sein. An dieser Stelle in der Prüfung kommt regelmäßig nur noch § 935 I BGB in Betracht. § 935 I BGB gilt dabei für alle gutgläubigen Erwerbstatbestände der §§ 932 ff. BGB, die ebenfalls in dieser Sachenrechtsreihe behandeln werden.
§ 935 I BGB zählt drei Varianten auf: gestohlen, verloren oder sonst abhanden gekommen. Alle drei Varianten haben dabei eines gemeinsam: Es geht jeweils um den unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes. Das bedeutet, dass beim Prüfen des § 935 I BGB stets auf den unmittelbaren Besitzer geschaut werden muss (vgl. § 935 I 2 BGB).
Liegen die Voraussetzungen des § 935 I BGB in einer Erwerbskette vor, scheitert an diesem Punkt der gutgläubige Erwerb. Es überwiegt insofern dann die Schutzwürdigkeit des wahren Eigentümers.
Vertiefung: Der unfreiwillige Verlust des unmittelbaren Besitzes ist sehr eng zu verstehen. Verleiht der Eigentümer den Gegenstand an einen Dritten und veräußert dieser ihn dann als Nichtberechtigter, hat der Eigentümer den Gegenstand bereits nicht mehr unfreiwillig verloren. Schließlich hat er seinen unmittelbaren Besitz freiwillig, zur Erfüllung des Leihvertrages, an den Dritten aufgegeben.
Zusammenfassung
§ 932 I BGB stellt eine Schlüsselnorm des Sachenrechts dar. Mit ihr wird versucht, das fortwährende Spannungsfeld zwischen Schutz des rechtmäßigen Eigentümers und Schutz des Rechtsverkehrs zu lösen. Am besten lässt sich § 932 I BGB und sein Zusammenspiel mit § 935 I BGB durch das Bearbeiten kleiner Fälle einüben.