Objektive Zurechnung und ihre Sonderfälle

Im Prüfungspunkt der Kausalität fragen wir uns, ob Handlung und Erfolg in einem Zusammenhang stehen. Diese Fragestellung ist durchaus sinnvoll und erspart uns tagtäglich viele sinnlose Gutachten. Sie ist quasi der erste Filter, um die Unschuldigen von den Schuldigen zu trennen. Um das Ergebnis aber noch zu verfeinern, ist ein weiterer Filter notwendig.

Denn: Gemäß der conditio-sine-qua-non-Formel, ist jede Mutter kausal für die Straftaten, die ihre Kinder begehen.

Um sich (unter Anderem) eine mühselige Vorsatz Diskussion bezüglich der Eltern von Tätern zu ersparen, führte man schließlich den Prüfungspunkt der objektiven Zurechnung ein. Hier wird normativ bewertet, ob dem Täter der Taterfolg als “sein Werk” zugerechnet werden kann. Das geschieht nach folgender Definition:

“Ein Erfolg ist dann objektiv zurechenbar, wenn die Handlung eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im konkreten Erfolgseintritt realisiert hat und vom Schutzzweck der Norm erfasst wird.”

Die Definition kannst du dir am leichtesten merken, wenn du sie, wie oben farblich, in drei Abschnitte einteilst.

Kümmern wir uns nun um die Sonderfälle der objektiven Zurechnung.

Sozialadäquates Verhalten

Manchmal ist es in unserer Gesellschaft notwendig Gefahren zu billigen, um ein Zusammenleben erst zu ermöglichen. Ein einschlägiges Beispiel hierfür ist zum Beispiel der Straßenverkehr. So schaffst du selbstverständlich (nicht böse gemeint!) eine gewisse Gefahr für deine Mitmenschen, wenn du dich ins Auto setzt. Wir alle tun das. Das ist auch in Ordnung so und, solange du dich an die Verkehrsregeln hältst, schaffst du hier auch keine rechtlich missbilligte Gefahr.

Auch ein Verkäufer schafft im Regelfall keine rechtlich relevante Gefahr beim Verkauf von Messern oder ähnlichen Gegenständen.

Freiverantwortliche Selbstgefährdung

Direkt ein Beispiel.

A gerät beim Wandern in Bergnot. B sieht ihn und unternimmt eine hoch riskante Rettungsaktion, bei der B abstürzt und stirbt. A wird anschließend auf anderem Wege gerettet.

A ist zwar, indem er in Bergnot geriet, kausal für den Tod des B, jedoch kann man ihm dessen Tod nicht objektiv zurechnen, weil B selbst über den Rettungsversuch entscheiden konnte.

Risikoverringerung

Auch hier direkt ein Beispiel.

A versucht B ins Gesicht zu schlagen. C geht dazwischen und lenkt den Schlag auf die Schulter des B ab. B erleidet eine Schulterprellung.

Klar ist, dass C die Schulterprellung kausal verursacht hat. Nach h.M. hat C hier kein rechtlich relevantes Risiko geschaffen, da er eine große Gefahr abgeschwächt hat. Folglich ist C die Schulterprellung nicht objektiv zuzurechnen.

Atypischer Kausalverlauf

Bei dem Problemfall des atypischen Kausalverlaufs geht es um die Unterscheidung von zurechenbarem Unrecht und schicksalhaftem Unglück. Abläufe, mit denen ein Täter einfach nicht rechnen kann, sollen hier gefiltert werden. Ein Beispiel: A schlägt B mit einem Baseballschläger so stark gegen das Bein, dass B sich jenes bricht. Auf dem Weg ins Krankenhaus bekommt der Fahrer einen Herzinfarkt und verursacht einen Unfall, infolgedessen B stirbt.

Dieser Geschehensverlauf liegt komplett abseits von jeglicher Lebenserfahrung, weshalb der Taterfolg dem B auch nicht objektiv zuzurechnen ist.

Schutzzweck der Norm

Dies ist wohl der unbeliebteste Bestandteil der objektiven Zurechnung. Dabei gibt es hierfür ein wundervolles Lehrbuchbeispiel: A fährt trotz der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h, stolze 150 km/h. Fünf Minuten später überfährt er innerorts, obwohl er sich dort an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält, einen Fußgänger, der gerade die Straße überquerte.

Könnte man A nun vorwerfen, dass er später am Unfallort angekommen wäre und somit den Fußgänger nicht überfahren hätte, wenn er sich an die 100 km/h Begrenzung gehalten hätte? Muss sich A durch seine vorherige Geschwindigkeitsübertretung, den Taterfolg objektiv zurechnen lassen?

Nein. Warum nicht? Richtig, wegen des Schutzzwecks der Norm. Der Sinn (also der Schutzzweck) einer Geschwindigkeitsbegrenzung ist es nämlich, dass am Ort der Geschwindigkeitsbegrenzung keine Unfälle passieren, nicht aber, dass man deshalb später zu möglichen Gefahrenstellen kommt. Logisch.

Und jetzt noch ein kleines Schmankerl für alle, die sich schon mit Fahrlässigkeitsdelikten befasst haben.

Fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang

Wir bleiben beim Straßenverkehr: A fährt mit seinem PKW, ohne ausreichenden Sicherheitsabstand, hinter dem Fahrradfahrer F. F stürzt und wird von A überfahren. Später stellt sich heraus, dass A den F auch bei ausreichendem Sicherheitsabstand überfahren hätte.

Die herrschende Meinung verneint die objektive Zurechnung bei Fahrlässigkeitsdelikten, wenn der Taterfolg auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Dagegen steht die sogenannte Risikoerhöhungslehre, die eine objektive Zurechnung bereits bei pflichtwidrigem, risikoerhöhendem Verhalten bejaht.

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