Nehmen wir an, dass K und V einen Kaufvertrag nach § 433 BGB über ein Fahrrad geschlossen haben. Nun müsste der Verkäufer V, um seine kaufvertragliche Verpflichtung im Sinne des § 362 I BGB zu erfüllen, dem K das Fahrrad übereignen.
Wichtig! Im Vergleich zum französischen Recht existiert im deutschen Recht das sogenannte Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Das gebietet, dass die schuldrechtliche Ebene grundsätzlich streng von der dinglichen Ebene getrennt wird. K wird vorliegend folglich nur durch Übereignung, nicht aber bereits durch Abschluss des Kaufvertrages, Eigentümer des Fahrrads.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, wie eine solche Übereignung in ihrer Grundform nach § 929 S. 1 BGB abläuft und welche Besonderheiten es dabei zu beachten gibt.
Schema, § 929 S. 1 BGB
Zur Orientierung und Wiederholung soll hier zunächst das grundsätzliche Schema einer Übereignung nach § 929 S. 1 BGB folgen.
I. Einigung
II. Übergabe
III. Einigsein
IV. Berechtigung
Im Detail
Allgemeines
Das obige Schema ist nicht speziell auf § 929 S. 1 BGB zugeschnitten, sondern mit leichten Abwandlungen auf jeden sachenrechtlichen Erwerbstatbestand anwendbar. Jeder dieser Tatbestände ist geprägt von einer Einigung, gefolgt von einem Publizitätsakt. Dieser Publizitätsakt ist bei § 929 S. 1 BGB die Übergabe. Da die Einigung und der Publizitätsakt zeitlich auseinanderfallen können und Willenserklärungen grundsätzlich frei widerruflich sind, ist es notwendig, dass sich beide Parteien im Zeitpunkt der Übergabe noch einig sind.
I. Einigung
Auch das Sachenrecht ist vom Allgemeinen Teil des BGB geprägt. So sind auch die Vorschriften für Willenserklärungen auf die dinglichen Erklärungen anzuwenden. Bei der Einigung nach § 929 S. 1 BGB handelt es sich folglich schlicht um zwei entgegengesetzte Willenserklärungen, die darauf gerichtet sind, die Eigentümerstellung, bspw. an dem Fahrrad, zu übertragen.
Das hat aber auch zur Folge, dass es bei diesen Erklärungen zu Fehlern kommen kann. So ist es denkbar, dass ein Minderjähriger sein Eigentum übereignen möchte und dafür, auch auf dinglicher Ebene, die Einwilligung seiner Eltern nach § 107 BGB benötigt.
Auch sind Probleme des Dissens oder auch Irrtümer bei der Abgabe der dinglichen Erklärung möglich. Diese sind letztlich aber nicht anders zu behandeln als ihre vergleichbaren Konstellationen auf schuldrechtlicher Ebene.
Als Spezialfall gibt es noch die Problematik zur Fehleridentität, bei der nach einer Ansicht beispielsweise die Anfechtung der schuldrechtlichen Willenserklärung auch Auswirkungen auf die dingliche Willenserklärung haben kann. Es erscheint mir insoweit jedoch sinnvoll, diesem Problem einen eigenen Artikel zu widmen.
II. Übergabe
Aus dem Publizitätsgrundsatz des Sachenrechts ergibt sich, dass auch die Übereignung nach § 929 S. 1 BGB einen Publizitätsakt benötigt. Dem Rechtsverkehr soll deutlich gemacht werden, dass nun K, und nicht mehr V, Eigentümer des Fahrrads sein soll.
Bei Immobilien dient hierfür die Eintragung ins Grundbuch. Da das im Rechtsverkehr mit Mobilien schlicht nicht möglich ist, genügt grundsätzlich eine Übergabe der Sache. Die Übergabe selbst ist dabei ebenfalls an Voraussetzungen geknüpft, denen im Detail ebenfalls ein eigener Beitrag gewidmet wird. Dennoch grundsätzlich:
Die Übergabe setzt voraus, dass der Übergebende mit Übergabewillen dem anderen einen Besitz, bei § 929 S. 1 BGB den unmittelbaren Besitz, einräumt, und selbst dabei jegliche Besitzform aufgibt.
Wurde der Besitz bereits vor der Einigung übertragen, greift § 929 S. 2 BGB ein. Man spricht insofern von der „Übereignung kurzer Hand“ (lat. brevi manu traditio).
III. Einigsein
Willenserklärungen sind grundsätzlich frei widerruflich. Das bedeutet auch, dass, wenn Einigung und Übergabe zeitlich auseinanderfallen, erneut geprüft werden muss, ob die Übereignung noch stattfinden soll. Teilweise wird dieser Prüfungspunkt insofern auch schon bei der Übergabe im Rahmen des Übergabewillens geprüft.
Sollte in einer Klausur, was der Regelfall sein dürfte, dieser Prüfungspunkt unproblematisch bejaht werden können, kann er getrost auch in einem Halbsatz bei der Übergabe erwähnt werden.
IV. Berechtigung
Eine Kernfrage der Übereignungstatbestände stellt stets die Frage der Berechtigung dar. Insoweit ist sie auch eine klare Abgrenzung zum Schuldrecht. Blicken wir noch einmal auf das Beispiel vom Anfang. V ist Eigentümer des Fahrrads. Das bedeutet, dass die Rechtsordnung dem V das Fahrrad zuordnet und grundsätzlich – ich komme gleich zu den Ausnahmen – auch nur V in der Lage ist das Eigentum an dem Fahrrad zu übertragen.
Auf schuldrechtlicher Ebene hingegen ist das nicht ganz so strikt. So könnte beispielsweise auch der Z zum K gehen, und diesem einen Kaufvertrag über das Fahrrad des V unterbreiten. Zwar könnte Z zu diesem Zeitpunkt den Kaufvertrag nicht erfüllen, denn grundsätzlich kann nur V das Fahrrad übereignen, dennoch kann sich Z vertraglich zur Übereignung verpflichten. Das folgt aus dem Trennungs- und Abstraktionsprinzip.
Das ist sogar eine recht häufige Konstellation im Geschäftsverkehr, insbesondere wenn Z beispielsweise ein Zwischenhändler ist und nach Abschluss des Kaufvertrages mit K, wie geplant, das Fahrrad bei V erwirbt. Oder wenn zwischen V und Z ein (verlängerter) Eigentumsvorbehalt vereinbart wurde.
Wenn Z jedoch nicht an das Fahrrad des V gelangen würde, stünden dem K gegenüber Z die Regelungen des allgemeinen Schuldrechts, namentlich Schadensersatzforderungen und Rücktrittsrechte, zur Verfügung.
Berechtigt zur Übereignung ist grundsätzlich der verfügungsbefugte Eigentümer der Sache (§ 903 BGB). Hinzu kommt ein Dritter, der nach § 185 I BGB zur Übereignung ermächtigt wurde. Daneben kann auch der Eigentümer im Nachhinein eine von einem Nichtberechtigten durchgeführte Verfügung über § 185 II BGB genehmigen.
Liegt keiner dieser Fälle vor, so handelt es sich um die Verfügung eines Nichtberechtigten, die sich im Fall des § 929 S. 1 BGB nach § 932 I BGB richtet. Mehr dazu hier.
Zusammenfassung
Es lässt sich festhalten, dass die Übereignung nach § 929 S. 1 BGB in ihrer Komplexität überschaubar ist. Gleichwohl ist in Problemfällen eine genaue und strukturierte Herangehensweise unerlässlich. In sachenrechtlichen Sachverhalten wird regelmäßig die Berechtigung des Verfügenden fehlen, was Tür und Tor für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten öffnet.
Wichtig ist insoweit jedoch immer, dass das Trennungs- und Abstraktionsprinzip beachtet wird. Gerade im Rahmen von § 929 S. 1 BGB kann es schnell mal passieren, dass die beiden Ebenen durcheinander geworfen werden.