In der heutigen Urteilsbesprechung dreht es sich um einen Fall, den man sonst wohl eher dem amerikanischen Rechtssystem und seinen kuriosen Entscheidungen zurechnen würde. Es geht aber um eine durchaus wichtige Entscheidung und der Frage, wie weit denn nun eine Produzentenhaftung greift. Zunächst aber – wie immer – der auf das Wesentliche reduzierte Sachverhalt:
“Der Kläger bringt vor, durch den langjährigen Konsum des von der Angeklagten produzierten Bieres alkoholkrank geworden zu sein. Deshalb ging seine Ehe in die Brüche, er wurde arbeitslos und verlor seine Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit am Steuer.
– OLG Hamm, Beschluss vom 14.02.2001, Az.: 9 W 23/00
Er behauptet, die Gegnerin hätte darauf hinweisen müssen, welche Gefahren mit dem regelmäßigen und exzessiven Genuss des von ihr hergestellten Bieres einhergehen. Der Kläger gibt an, entsprechende Warnhinweise auf den Bierflaschen hätten ihn von dem immensen Alkoholkonsum abgehalten.
Der Kläger verlangt von der Gegnerin Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000 DM und die Feststellung einer Schadensersatzpflicht der Gegnerin für alle kommenden sowohl materiellen als auch immateriellen Schäden, welche ihm aufgrund des Konsums des Bieres entstehen werden.
Die Gegnerin negiert die Pflicht zum Anbringen von Warnhinweisen auf ihren Bierflaschen und bestreitet, dass sich der Kläger von derartigen Hinweisen überhaupt von dem Alkoholkonsum hätte abbringen lassen.”
Das OLG Hamm wies, wie auch die Vorinstanzen, die Klage ab. Logisch, denn auch wenn der Kläger im vorliegenden Fall abhängig und krank geworden ist, war ihm das Risiko doch wohl bereits vor dem ersten Konsum bekannt. Auch war jeglicher Konsum seine eigene, freie Entscheidung. Eine weltbewegende Neuigkeit liefert dieses Urteil nicht, aber sehr wohl jedoch eine sehr gelungene Eingrenzung und Definition der Produzentenhaftung. Schauen wir mal rein.
Takeaways für die Klausur
Absolute Basics: Der Anspruch damals stützte sich auf die §§ 823, 847 BGB. Der § 847 BGB wurde kurze Zeit später aufgehoben und durch die allgemeine Norm des § 253 II BGB weitestgehend ersetzt. Es handelte sich also hauptsächlich um eine Anspruchsnorm für immateriellen Schadensersatz, also zum Beispiel für Schmerzensgeld, wie vorliegend gefordert.
Im Rahmen der Produzentenhaftung kam hier eine Verletzung der Instruktionspflicht in Betracht. Klar, schließlich war das Produkt selbst nicht fehlerhaft, sondern es fehlte – vermeintlich – der entsprechende Warnhinweis. Aber muss ein Produzent von Bier wirklich darauf hinweisen, dass Alkohol abhängig machen kann und darüber hinaus gesundheitsschädlich ist? Womöglich auch noch, dass Bier eine schlechte Kombination mit dem Führen eines Fahrzeugs darstellt? Der 9. Zivilsenat des OLG Hamm verneinte diese Fragen in seinem Urteil und verwies auf die Ratio der Instruktionspflicht. So muss ein Produzent grundsätzlich vor potentiellen Gefahren warnen und entsprechende Instruktionen mitgeben, um diese, wenn möglich, zu umgehen. Jedoch dient die Instruktionspflicht in erster Linie der Risikoinformation des Nutzers, der letzten Endes eigenverantwortlich zu entscheiden hat, ob er eben jenes Risiko eingehen möchte. Diese Pflicht findet dort ihre Grenzen, wo jedem Verständigen klar ist, welche Risiken auf ihn bei Benutzung des Produkts zukommen. Und das war das Problem des geltend gemachten Anspruchs des Klägers.
Was allgemein bekannt ist bei den Nutzern eines Produkts, muss, laut dem 9. Zivilsenat des OLG Hamm, nicht Inhalt einer Instruktion bzw. Warnung des Produzenten sein. Und dass Bier abhängig macht und auf Dauer durchaus auch eine gesundheitsschädliche Wirkung entfalten wird sollte nicht nur den Nutzern des Produkts klar sein, sondern wohl jedem von uns.
Dazu kommt dann auch noch, dass der Kläger nicht ausreichend überzeugend darlegte, dass er bei entsprechender Warnung auf den Bierflaschen auch seinen Alkoholkonsum zumindest erheblich eingeschränkt hätte. Somit fehlte es zusätzlich auch noch an einer nachzuweisenden haftungsbegründenden Kausalität.
Auch hier gibt es grundsätzlich einen Streit darüber, ob diese nicht im Rahmen der Produzentenhaftung widerlegbar zu vermuten sei, jedoch müssten für diese Vermutung konkrete Anhaltspunkte vorgelegt werden. Solche wurden vom Kläger jedoch nicht vorgebracht.
Ein durchaus lehrreiches Urteil also. Dankeschön, dass du bis hierhin gelesen hast und viel Erfolg bei deiner nächsten Klausur!