Die Notwehr nach §32 StGB stellt den wohl beliebtesten Rechtfertigungsgrund für Klausuren dar. Umso besser also, wenn du dich bestens mit dem Thema auskennst. Auf geht’s!
Rechtfertigungsgründe im Allgemeinen erlauben es Einzelnen, unter gewissen Umständen, in die Rechte Anderer einzugreifen. Die Notwehr stellt sehr weitreichende Verteidigungsmittel zur Verfügung, die sogar bis zur Tötung des Angreifers reichen können. Diese weitreichenden Verteidigungsmittel sind jedoch an sehr strenge Voraussetzungen gebunden:
Das Prüfungsschema des §32 StGB:
So prüfst du die Notwehr in der Klausur.
I. Notwehrlage
1. Angriff
2. Gegenwärtig
3. Rechtswidrig
II. Notwehrhandlung
1. Erforderlichkeit der Verteidigung
a. Geeignetheit
b. Relativ mildestes Mittel
2. Gebotenheit der Verteidigung
III. Verteidigungswille
Wie bei allem in Jura, ist es natürlich super, das Schema auswendig zu lernen. Viel wichtiger ist es aber noch, alle Gliederungspunkte im Detail zu beherrschen und Probleme in der Klausur zu erkennen:
I. Notwehrlage
Zunächst Einmal muss sich unser Täter überhaupt in einer Lage befinden, die eine Notwehrhandlung rechtfertigt. Eine Notwehrlage erfordert einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff.
1. Angriff
“Ein Angriff im Sinne des §32 StGB ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines Individualrechtsguts des Täters oder eines Dritten”
Soweit zunächst logisch. Unter Individualrechtsgüter sind unter Anderem Rechtsgüter gemeint, wie sie beispielhaft in §34 StGB aufgezählt sind. Aber auch das Recht am eigenen Bild würde mit darunter fallen. Abgegrenzt von Individualrechtsgütern werden hingegen die Rechtsgüter der Allgemeinheit.
Beispiel: A möchte volltrunken mit dem Auto nach Hause fahren. B möchte ihn daran hindern.
Würde B den A hierbei verletzen, könnte er sich nicht auf §32 StGB berufen, da er hier nicht sein Leben, seine Ehre, sein Eigentum oder Ähnliches schützt, sondern die allgemeine Sicherheit im Straßenverkehr.
Zusatz: Strafbar würde sich B jedoch vermutlich nicht machen, so wäre im Einzelfall eine Rechtfertigung über §34 StGB (reinschauen!) denkbar.
Außerdem ist noch zu beachten, dass eine Notwehrlage nur durch menschliches Verhalten ausgelöst werden kann. Damit ist ausschließlich kontrollierbares Verhalten gemeint. Erschrickt sich A und schlägt dabei reflexartig in Richtung des B, liegt demnach keine Notwehrlage im Sinne des §32 StGB vor.
2. Gegenwärtig
“Gegenwärtig ist ein Angriff dann, wenn er unmittelbar bevorsteht, bereits begonnen hat oder noch andauert.”
Diejenigen die den Versuch bereits durchgenommen haben, können sich also merken, dass ein Angriff vom unmittelbarem Ansetzen, bis zur Beendigung gegenwärtig ist. Für alle Anderen besteht der einzige problematische Punkt im Beginn der Gegenwärtigkeit eines Angriffs, also der Frage, wann ein Angriff unmittelbar bevorsteht:
“Das unmittelbare Bevorstehen meint eine bedrohliche Lage, die unmittelbar in eine Verletzungshandlung umschlagen soll”
Vgl dazu Schönke/Schröder/Perron StGB, 29. Aufl. 2014, § 32 Rn. 14
Alles klar?
Für die Neugierigen, gibt es /hier/ auch noch eine heiß diskutierte Abgrenzung zur Präventivnotwehr.
3. Rechtswidrig
Zuletzt muss der Angriff auch noch rechtswidrig sein. Bedeutet, dass der Angreifende selbst nicht durch einen Rechtfertigungsgrund (wie unter Anderem §§32, 34 StGB) gerechtfertigt sein darf. Der Angriff muss folglich objektiv gegen die Rechtsordnung gerichtet sein.
II. Notwehrhandlung
Wenn du zu dem Ergebnis kommst, dass eine Notwehrlage vorliegt, kannst du weiter prüfen, ob und wie sich der Angegriffene zur Wehr setzen darf.
1. Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung
Unter diesem Punkt prüfst du, ob die Handlung des Täters erforderlich war. Erforderlich ist eine Verteidigungshandlung, wenn sie geeignet war den Angriff zu beenden und dafür das relativ mildeste Mittel gewählt wurde.
a. Geeignetheit
War die Handlung des Täters geeignet, um den Angriff abzuwehren? Genau diese Frage musst du an diesem Punkt in der Klausur aufwerfen und beantworten. Das musst du im Einzelfall entscheiden, ist aber weitestgehend problemlos.
“Geeignet ist eine Verteidigungshandlung gemäß §32 StGB, wenn sie grundsätzlich in der Lage ist, den Angriff zu beenden oder ihn zumindest verzögert bzw. abschwächt.”
b. Relativ mildestes Mittel
Hier musst du prüfen, ob das mildeste Mittel gewählt wurde, welches den Angriff sicher und endgültig beenden konnte. Hätte A den Dieb D wirklich erstechen müssen, oder hätte er den unbewaffneten und körperlich weit unterlegenen D nicht auch einfach festhalten können? Die Flucht kannst du bei deinen Erwägungen jedoch außen vorlassen, denn hier gilt der Grundsatz:
“Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen.”
Sollte der Täter sich mal nicht des mildesten Mittels bedient haben, kannst du in der Schuld noch den §33 StGB prüfen.
Eine Ausnahme stellen noch Verteidigungen mit Schusswaffen oder unter Anderem langen Messer dar. Hier muss sich der Verteidiger an den dreistufigen Aufbau halten:
“1. Stufe: Die Anwendung des Verteidigungsmittel muss zunächst angekündigt werden. Bei Schusswaffen also beispielsweise mittels Warnschuss.
2. Stufe: Ist die Androhung unmöglich oder erfolglos, darf das Verteidigungsmittel zunächst nur in weniger gefährlicher Art verwendet werden. Durch einen Schuss ins Bein zum Beispiel.
3. Stufe: Die ultima ratio, also die absolut letzte Instanz, ist dann der tödliche Gebrauch des Verteidigungsmittel.”
2. Gebotenheit der Verteidigung
Auch wenn die Notwehr keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorsieht, hat sie dennoch gewisse Schranken. Diese Schranken gehst du in diesem Punkt kurz durch, bzw. sprichst du diejenigen an, die überhaupt in Frage kommen.
Bagatellangriffe
Bei sogenannten Bagatellangriffen bleibt ein Notwehrrecht aus. Bagatellangriffe im Rahmen der Notwehr sind Angriffe, die ein Rechtsgut nur unerheblich zu verletzen drohen. So kann in diesen Fällen das Notwehrrecht entfallen, wenn ein unerträgliches Missverhältnis zwischen angegriffenem Rechtsgut und der Rechtsverletzung besteht. Ein Klassiker ist hierbei das Anbringen von lebensgefährdenden Selbstschutzanlagen zum Schutz vor Obst-Diebstählen.
Vergleiche hierzu das Urteil des OLG Braunschweig MDR 47, 205.
Es ist häufig im Einzelfall zu entscheiden, ob das Missverhältnis derartiger Natur wäre, dass man dem Angegriffenen zumuten kann, den Angriff hinzunehmen oder ihm auszuweichen.
Die Absichtsprovokation
Das ist eine sehr interessante Konstellation. Bei der Absichtsprovokation beschließt der Täter bereits vor Begehung der Tat, eine Situation zu provozieren, die ihm eine Verteidigung in Notwehr gewährt, um gerechtfertigt und damit ungestraft eine Straftat zu begehen.
Das Thema der Abwehrprovokation ist heftig umstritten, nach herrschender Meinung ist jedoch zumindest in Fällen der absichtlichen und rechtswidrigen Provokation eine gänzliche Versagung des Notwehrrechts angemessen.
Beispiel: A beleidigt B in der Hoffnung, dass B auf ihn losgehen würde. Wie erhofft stürmt B auf A zu, was A ausnutzt um B – vermeintlich gerechtfertigt – zu verprügeln.
Nach herrschender Meinung ist A hier nicht durch Notwehr gerechtfertigt.
Die fahrlässige Provokation
In Fällen der fahrlässigen Provokation gewährt die Rechtsprechung überwiegend ein Notwehrrecht, allerdings unter Anwendung der Dreistufentheorie:
“Zunächst muss der Täter versuchen zu fliehen oder Hilfe zu holen. Erst wenn das erfolglos oder unmöglich ist, darf er zur Schutzwehr und schließlich in letzter Instanz zur Trutzwehr übergehen.”
Beispiel: A lästert lauthals und mit beleidigendem Charakter in einer Kneipe über B. B, der, ohne dass A davon wusste, auch anwesend war, stürmte daraufhin auf A zu.
Die Provokation des A war in diesem Fall fahrlässig. Nach oben gelernter Theorie, muss A zunächst einmal versuchen auszuweichen und darf dann anschließend zur Schutzwehr und letztendlich zur Trutzwehr übergehen.
Für die Interessierten: Im Bereich der Notwehrprovokation gibt es noch weitere Ansätze und interessante Theorien. Eine Übersicht findest du /hier/.
Angriffe von schuldlos Handelnden
Klar sollte sein, dass Erwachsener A das 6 jährige Kind K nicht schwer verletzen darf, nur weil dieses zu einem Schlag gegen A ausholt. Jedoch gibt es in diesem Rahmen keine definitive Streitentscheidung. Es gilt, dass A, soweit es ohne eigene Gefährdung möglich ist, ausweichen muss. Erst wenn es erfolglos oder unmöglich ist, darf A zu einer Schutzwehr übergehen.
Jedoch gilt auch, dass wenn K nicht nur zu einem Schlag ausholt, sondern tatsächlich zu einer lebensgefährdenden Behandlung ansetzt und A sich in einer ausweglosen Situation befindet, er K nach §32 StGB gerechtfertigt töten darf, wenn er sein Leben auf anderer Weise nicht retten kann.
Anhang
Eine Androhung von Folter ist in unserem Rechtsstaat vollständig untersagt. Sogar dann, wenn ein Polizeibeamter nur durch Androhung von Folter den Aufenthaltsort einer Geisel in Erfahrung bringen kann und damit vermeintlich(!) durch Notwehr gerechtfertigt ist. So zum Beispiel der berühmte Daschner Prozess (5/27 KLs 7570 Js 203814/03)
Außerdem ist nicht gänzlich geklärt, wie Notwehr unter sich nahestehenden Beteiligten zu ahnden sei. Dieser Thematik werde ich einen eigenen Artikel widmen, den du /hier/ findest.
III. Verteidigungswille
Nach h.M. muss der Täter nach §32 StGB auch in Kenntnis und aufgrund der Notwehrlage gehandelt haben. Das Motiv der Verteidigung soll beim Täter während seiner Handlung also im Vordergrund stehen.
Jetzt hast du einen ziemlich detaillierten Überblick über die Notwehr. Interessant sind auch die entsprechenden BGH Urteile sowie die weiterführenden Artikel über den Notstand §34 StGB als auch die über die spezifischen Problemfälle der Notwehr.